Hallo Du!
Wie auch im vergangenen Jahr bewegt mich weiterhin auf vielschichtige Art und Weise das Thema Emotionen und Gefühle.
Neulich in einer der Fallbesprechungen in der Psychosomatischen Klinik, wo ich seit über vier Jahren als Körpertherapeutin mitarbeite, fiel in einer Besprechung der Begriff: "Sekundärgefühl". Es ging um die Wut eines Klienten, hinter der sich wohl etwas anderes verbirgt.
Ich habe in dieser sekundären Wut etwas von mir wiedererkannt und daraus ist der Impuls entstanden, dies in einem Newsletter mit dir zu teilen.
Vor kurzem erst war die Frage in mir aufgetaucht: "Was ist eigentlich hinter meiner Wut?" Was wäre, wenn die Wut die ich zur Zeit so oft in mir wahrnehme, gar nicht das ist, worum es eigentlich geht? Könnte es sein, dass ich durch meine Wut den Kontakt mit etwas verhindern will, dass mich in der Tiefe zu sehr schmerzen und mich überwältigen könnte?
Sekundärgefühle
Sekundärgefühle sind Ersatzgefühle. Sie sind sozusagen vor das eigentliche Gefühl geschoben, um das jeweilige Primärgefühl nicht spüren zu müssen und zu verbergen. Insofern dienen sie zur Manipulation und Ablenkung. Da jedoch das Primärgefühl im Sekundärgefühl enthalten ist, ist das Sekundärgefühl immer zusammengesetzt bzw. ein Gemisch aus beidem.
Bei den einen liegt die Trauer als sekundäres Gefühl vor ihrer Wut, bei anderen die Wut vor der Trauer. Oder die Angst als sekundäres Gefühl vor der Wut. Oder die Wut vor der Angst. Es gibt viele Varianten und immer geht es um etwas, wovor wir Angst haben – Angst vor Überforderung, Angst vor Schmerz der uns überwältigen könnte, den zu fühlen wir vermeiden wollen.
Erkennst du hierin etwas von dir?
Viele von uns nutzen in bestimmten Situationen unbewusst sekundäre Gefühle. Das, worum es eigentlich geht, bleibt unerkannt und unerlöst, da es weiterhin verdrängt bleibt und somit unterbewusst weiter vor sich hin köchelt.
Vivian Dittmar schreibt dazu: "Starke Gefühle die schwierige Situationen hervorrufen, landen oftmals in unserem emotionalen Rucksack. Verdrängt und gehalten über unseren emotionalen Schließmuskel."
Das funktioniert oftmals eine Weile ganz gut. Jedoch nur, bis wir einem entsprechend starkem Auslöser begegnen, um dann unverhältnismäßig heftig zu platzen ("Ich wollte das nicht! Ich weiß nicht, was mit mir geschehen ist...").
Das Problem dabei ist: Über das unkontrollierte Ausagieren eines Gefühls – in meinem Beispiel Wut – verhindern wir, das zu bekommen, was wir eigentlich bräuchten: Kontakt über Verständnis und Zuwendung. Wir stoßen Menschen über die Wucht des emotionalen Ausbruchs von uns weg, obgleich wir uns eigentlich danach sehnen, verstanden zu werden und Mitgefühl zu erfahren. Der tiefe Wunsch ist, mit unserem Schmerz gesehen zu werden, willkommen zu sein, und vielleicht in Liebe gehalten und umarmt zu werden, um Altes betrauern zu können. Wenn wir dazu jedoch in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen gemacht haben, fühlt sich genau das (zu) riskant und (zu) gefährlich an.
Wutenergie, die als abwehrender Angriff eingesetzt wird, sorgt für Trennung und verhindert das über Kontakt neue, heilsame Erfahrungen gemacht werden können. Die Menschen ziehen sich von uns zurück, schützen sich, gehen auf Abstand. Wir haben Vertrautes reinszeniert: wieder einmal ist niemand da. Wieder einmal hat sich ein Lebensgefühl bestätigt, das vielleicht schon in früher Kindheit entstanden ist: überwältigt und allein zu sein. Der emotionale Rucksack (Vivian Dittmar: Der emotionale Rucksack) hat ein Paket dazu bekommen.
Was gibt es zu lernen? Was und wie kann Heilsames geschehen?
Früher oder später geht es darum, sich der eigenen Verwundung und Verwundbarkeit Schicht um Schicht, Päckchen für Päckchen, mitfühlend zu stellen. Und zu lernen, mit diesen Emotionen (Altlasten) verantwortlich umzugehen. Du und ich – wir alle, haben unsere Verwundungen. Und wir treffen zielsicher auf genau jene Menschen, die uns daran erinnern, dass es da Heilzeit in und mit uns braucht. Vivian Dittmar drückt es so aus: "Wir haben unbewusst ein permanentes Casting laufen, um Menschen und Situationen zu identifizieren, die uns genau dabei unterstützen können, an unsere Ladungen zu kommen."
Mitgefühl für sich selbst zu entwickeln braucht Mut und Bewusstheit um aus Sekundärgefühlen und Projektionen auszusteigen und innerlich dorthin zu gehen, wo es schmerzt. Die erlebten Ent-täuschungen fühlbar werden zu lassen (Mitgefühl), ohne dabei in der Rolle von Opfer (Selbstmitleid) oder TäterIn (Projektion auf mein Gegenüber) zu landen.
Die Verantwortung für die eigenen Gefühle zu übernehmen kann durchaus beinhalten, dass wir genau in dieser Verantwortlichkeit auch Hilfe brauchen – Hilfe im Sinne von: "Ich sehe dich, ich höre dich, ich fühle mit dir." Das bedeutet jedoch auch zu lernen, den emotionalen Schließmuskel (siehe Vivian Dittmar: Der emotionale Rucksack) adäquat zu steuern. Und das beinhaltet nicht nur die Fähigkeit den emotionalen Schließmuskel (Herz und Körper) zu schließen, sondern auch zu öffnen. Es geht um die innere Erlaubnis und Bereitschaft Emotionen zu fühlen.
Für (d)ein Leben in Kontakt und Leidenschaft.
Gerne begleite ich dich dabei ein (weiteres) Stück deines Weges.